27. Juni 2019

der früher gegenüber gewohnt hat

wenn ich die Tür zum Balkon öffne, nicht nur so auf Kipp oder einen Spalt breit sondern so richtig breit wie der der früher gegenüber gewohnt hat und dessen Freundinnen immer nachts gegen die Fenster hämmerten und sich heulend auf die Straße gelegt haben und der dann ohne Führerschein einen Unfall hatte und den deswegen nie machen durfte und auch irgendwie dann lange weg war und ich wusste gar nicht wohin aber vielleicht war er auch einfach alt genug um auszuziehen in meinem Kopf ist er immer noch sechzehn dabei war er immer so elf jahre älter als ich oder so und jetzt hat er eine tochter glaube ich zumindest sehe ich ihn manchmal wenn ich in der heimat bin und denke er ist sehr schön und dann spaziert er mit einem kleinen mädchen an der hand vor unserem haus vorbei und sie trägt eine bunte jacke aus plastik mit großen blumen darauf und er sieht ganz voller liebe aus und ich denke dann an andere die ich auch so gern habe wie er das mädchen dass da neben ihm läuft aber wenn ich dann die balkontür öffne und es riecht nach regen und ozon und wachsenden grashalmen und feuchter erde die sich unter die fingernägel bohrt wenn man in ihr gräbt und hyazinthen die ihre glöckchen von der schwere des wassers ein bisschen hängen lassen aber sich danach wieder aufrichten und ganz weiß strahlen und so intensiv riechen dass mir schwindelig wird und dann bin ich mir auch immer nicht sicher ob ich eigentlich gegen blumen allergisch bin weil manchmal naja wie das eben so ist da niest man mehr und dann wieder weniger nur später bin ich dann so bedröppelt aber das kann ja auch ein schönes gefühl sein wenn man so ein bisschen kontrolle verliert in den rausch kommt den rausch rausch rausch rausch rausch rausch rausch rausch das ist beim schreiben ein ganz verrückter rhythmus weil ich nicht mit zehn fingern sondern mit drei schreibe und das bekommt man ja auch nicht mehr weg und muss ja auch gar nicht weil es ja trotzdem schnell ist nur manchmal wenn ich so ewig am schreibtisch sitze bohrt sich die kante meines schreibtisches so in meine unterarme und am rechten trifft das immer genau so einen komischen nerv der dann meinen kleinen finger ganz kalt werden lässt das ist alles so off und heute morgen auf dem balkon das war nicht warm aber es roch gut und meine wäsche war wieder nass geworden obwohl sie gerade trocken war und nach regen und ozon und wachsenden grashalmen und feuchter erde roch und dann vergrub ich mich unter der decke einfach weil das so ein schönes wort ist.

26. Juni 2019

hitze in h.

Die Bewegungen auf der Bühne kommen zu einem abrupten Stopp. Jetzt erkennen wir: es gibt nur eine Figur auf der Bühne, die alle anderen Figuren gleichzeitig gespielt hat und niemand hat es gemerkt. Nick starrt sie an. Sie liegt in weißen Tüchern, eng umschlungen wie ein Burrito, vorne mittig auf der Plattform und summt leise: don’t dream it’s over, aber in der Coverversion von Ariana Grande und Miley Cyrus. 

Am Abend wechselt Karla die mitteldicke Decke gegen die dünne aus. Es ist 00:38. Sie und Wendy sind in Shorts und mit nackten Füßen vom Fußball heimgelaufen. Erst als sie die Füße unter die Decke schiebt fällt ihr ein, dass die Sohlen noch ganz schwarz sind. Morgen wird sie weiße Wäsche waschen. Ihre Beine werden schwer vom Alkohol und sind aber zu warm zu warm so kann sie nicht schlafen, die Füße glühen und kribbeln und sind ganz dreckig so dreckig wie 

Karla prügelt auf ihren Oberschenkel ein 
[Wendy könnte jeden Moment kleine Kiesel gegen ihre Fensterscheibe werfen und dann würde sie so wie sie jetzt ist einfach unbekleidet rausschauen und dann würden sie nacktbaden gehen] 
Karla prügelt auf ihren Unterarm ein 

Teer. 

Die Straßen sind orange und Gleise und Montagmorgen und Zigaretten schweben an ihr vorbei. Schliere versäumter Tage versäumter Nächte. Zertanzt. Man kann Dinge auch totquatschen sagt Wendy. Man kann Dinge auch totschweigen, sagt Karla und stolpert im gehen über ihre Schnürsenkel die sich immer wieder lösen obwohl sie einen Doppelknoten macht. Ihre Füße brennen vor Hitze. Der Asphalt wird von ihren Füßen aufgewärmt. Sie reibt sich kurz die Augen, hört auf, blickt Wendy an, die in die leere starrt und eine Mauer ist und viel weinen möchte und reibt dann weiter kann nicht aufhören zu reiben reibt sich die Wimpern weg und die Augenbrauen verwirren sich zu Knötchen und die frische Farbe löst sich ab und das weiß schon ganz rot und die Pupillen sie brennen, brennen wie die Füße alles brennt und ganz viel Schleim kommt aus den Augeninnenwinkeln und schiebt sich zur Nase hin in die Nase rein und aus dem Mund wieder raus. Rotze hinterm Zäpfchen da oben am Gaumen die man so hochräuspert das klingt ganz ekelig und tut so gut, Rotze die dann auf dem Boden landet und später wenn jemand barfuß reinläuft klebts schmatzschmatzschmatz zwischen dem großen Zeh und dem daneben dem Zeigefingerzeh Zeigezeh und Karla hört nicht auf zu reiben, stolpert wieder über die Schnürsenkel fällt hin kracht zu boden schützt sich aber das Gesicht weil sie weiterreibt und Wendy bemerkt nichts Wendy läuft und starrt und denkt an diese Nacht die eine Nacht mit den Glühwürmchen am Strand bah kitsch und denkt an Dates im Museum und Studio Ghibli und was ist los was ist los was ist los alles in ihr ist so leer ist so ich braucht nichts ich brauch nur mich und the work das ist alles ich guck jetzt ne Staffel von der und der Serie aber nicht um mitreden zu können weil ich manchmal mein Gott einfach dieses berieseln brauche weil ich keinerlei U und E und so stuff nein himmel ich mach den lieben langen tag ich mach so viel da machen mich diese neoliberalisten ultra wahnsinnig die alles optimieren die immer sagen die und die Entscheidung weil die und die Konsequenz und alles in allem bin ich aber leerleerleer naja naja Mitbewohnerin eins starrt an die decke Mitbewohnerin zwei ist nie da isst nicht mehr trinkt nicht mehr schläft nicht mehr aber Cigarettes after Sex und abends da sitzen wir auf dem Bürgersteig auf der Straße und wären wir Musikerinnen würden wir Musikerinnensachen machen und das Gefühl ist da aber Karla hört nicht auf sich die Augen zu reiben hört einfach nie wieder auf bis sie tot ist und dann ist sie tot.